Wer schützt das geistige Eigentum vor den Urhebern?

11 Juni 2012
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Pfoten weg von der Kokosnuss! Oder: Der Geist der Angst geht wieder um

Im Zeitalter der monströsen Medienallgegenwärtigkeit müssen wir sofort eine Meinung haben. Zu allem. Schließlich kann sich jeder jederzeit informieren – außer die Unterschichtler ohne Bildung, aber die fragen wir eh nicht. Anscheinend meinen die Menschen, dass es von Unsicherheit oder Blödheit zeugt, wenn man sich daneben stellt und die Affenbande brüllen lässt: „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“ Unsicher und blöd will keiner sein, klar, das mindert den Marktwert in der „Berufs-“ und Begattungswelt.

Und so erzeugen wir selbst ständig künstlich eine Hysterie um jeden mühsam rausgepressten Furz, der durch die Welt mäandert, obwohl wir unsere Kinder in dem oben genannten Lied am Anfang (herzerfrischend ehrlich) warnen: „Die Affen rasen durch den Wald, der eine macht den andern kalt.“

558d09cec5f64a32a9b355dd1e4b2defWas hernach kommt, wissen wir: Alle Affen brüllen und rasen, als ob sie zu viel Sauerkraut gegessen hätten, und die Kokosnuss bleibt trotzdem verschwunden. Interessant ist, dass zudem die Frage der Schuld gestellt wird, die niemanden hilft.( „Und wer ist Schuld?“, fragt die Frau, weil der Mann vergessen hat, die Hirnwurst einzupacken, und muss sauertöpfisch trockenes Brot essen.) Aber wenigstens hat man sich ein bisschen aufgeregt, ohne vorher darüber nachzudenken. Das ist unterhaltsam und bringt, hinsichtlich der medialen Hysterie, vor allem: Geld.

Ein Beispiel für einen solchen Circus ist das Gewese um den alten Grass und seine „Gedichte“. Er schrieb das erste, die Süddeutsche Zeitung druckte es, die Affenbande brüllte und der Grass fordert seitdem die Welt auf, nachzudenken, wer eigentlich Schuld an seinem neuen Einreiseverbot sei. In diesem Fall hat sich die Hysterie für die Süddeutsche rentiert. Denn auf die Veröffentlichung „war die Reaktion der Leser und der Medien groß. Sie war größer,(sic!) als auf jedes andere Thema, das die Süddeutsche Zeitung in den vergangenen Jahren behandelte.“ (SZ) Diese Reaktion verputzte auf jeden Fall die ersten Risse des dräuenden Sommerlochs.

Auch bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS). In dieser hat der „Autor“ Volker Weidermann unlängst versucht, die Hysterie um das zweite „Gedicht“ vom alten Grass, worin dieser Fürsprecher und Trauerredner für das bankrotte Griechenland spielt, noch ein bisschen zu verschärfen, indem er, Weidermann, behauptete, dass die „Titanic“ (die Satirezeitschrift) in Wirklichkeit der Urheber gewesen sei. Ein Scherz, freilich. Doch ein unnötiger. Wenn man zeigen will, wie unwichtig der alte Grass und sein Geschreibe ist, dann stellt man sich neben die Affenbande und wartet, bis sie ihre Nuss gefunden oder vergessen hat.

Nein, stattdessen wird ein alter Mann vor eine Kamera gezerrt, wo er dann seine Verse vorlesen muss, um zu beweisen, dass er der Urheber ist. Das alles ist sinnlose CO2-Produktion auf höchstem Niveau.

Apropos: die Urheber und ihre Rechte. Seit längerem rasen die Affen durch den Urwald des Eigentums, wegen all den Kokosnüssen, die geklaut worden sind oder geklaut werden könnten/müssten. Und so sehr ich, schon aus eigenem Interesse heraus, versuche, mich auf eine Seite zu schlagen, kann ich es immer weniger, je lauter das Geschrei auf beiden Seiten wird. Ich bin sicherlich dafür, dass geistiges Eigentum (ein seltsamer Begriff, man fühlt sich als geistiger Eigentümler direkt wie ein Hotelier) geschützt wird, ich bin aber nicht dafür, dass die Eltern eines 15-jährigen Phasengrufties von einer großen, reichen Plattenfirma verklagt werden, bloß weil der Sohnemann eine Platte von „Unheilig“ oder dergleichen „aus dem Netz gesaugt“ hat. Und ich wäre auch dagegen, wenn die BILD den Verein „Keine Macht den Drogen“ verklagen würde, weil die KMDD-Aufkleber wie eine BILD-Schlagzeile aussehen.

Etwas zu schaffen, das noch nie dagewesen ist, ist eigentlich unmöglich, unter anderem wegen Johann Pachelbel und seinem Kanon in D-Dur. In unserer Zeit speichern außerdem so viele Leute wie noch nie zuvor ihre Gedanken, Videos, etc. „in dem“ sagenhaften Internet, wo andere dann „hinein-“ oder „raufgehen“ und sich zum Beispiel das Gedicht von Hans Wadlfaust, das er der Tante Käthe zum 80. Geburtstag geschrieben hat, anschauen können – und notfalls auch „heraussaugen“. Aber möchte man das? Viele Dinge, die Menschen aus ihren Hirnen in die Welt drücken („Die Käthe wird heut 80 Jahr‘, das finden wir ganz wunderbar ...“), möchte man gar nicht hören, geschweige denn auf ewig speichern.

Und da frage ich mich schon, warum unter anderem Sven Regener uns allen indirekt vorwirft, dass wir alle sofort seine Lieder und Texte klauen und umsonst herunterladen würden, wenn er es zuließe. Die Angst dahinter ist klar. Und verständlich. Wenn ein Maurer eine Wand mauert und verputzt, während sein Kollege in der Sonne liegt, und später der Faulenzer sich geschickt als Verantwortlicher hinstellt, wird der arbeitende Maurer sauer und kann sich hernach kein Frustbier kaufen, weil ja der andere die Anerkennung und das Geld eingesackt hat. Allerdings wird der faule Maurer bald auffliegen, weil

spätestens beim nächsten Auftrag herauskommt, dass sich sein Talent im Sonnenbaden erschöpft.

Bekannte Künstler sind sowieso kaum vom Klau bedroht. Irgendein Gitarrenträger, der auf einer Kleinkunstbühne mit einem Sven-Regener-Lied aufwartet und behauptet, das sei sein Werk, wird wenig Erfolg bis „Buh“-Rufe ernten. Außerdem kann der Regener diese Interpretation in jedem Fall verbieten lassen, entweder gemäß § 24, Absatz 2, des Urhebergesetzes (UrhG) „Freie Benutzung: (2) Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird.") oder gemäß § 14 des UrhG ("Entstellung des Werkes: Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.").

Richtig besorgniserregend an dem ganzen Geplärre ist, dass gezielt Hass geschürt worden und entstanden ist.

Egal auf welcher Seite: Jeder hat Angst, dass einem was weggenommen wird. Angst um „Eigentum“ und „Rechte“ zu erzeugen, ist ja ein beliebtes Mittel der herrschenden Elite, um zu verhindern, dass sich keiner mehr um das Wachstum kümmert und lieber im Garten liegt. Und so sollte es viele Zeigefingerschwinger ein wenig zur Räson bringen, dass sich gerade die Bundeskanzlerin mit einem üblichen Politikerschwurbel für die Rechte der geistigen Urheber einsetzen will, angeblich, wo doch gerade in ihren Reihen so viele Köpfe sitzen, die Gedanken aus anderen Köpfen geklaut und als ihre Gedanken verkauft haben. Ich frage mich auch, wie Frau Merkel sich einsetzen will? Geht sie künftig auf Volksfeste und notiert alle Coversongs, um zu überprüfen, ob die jeweilige Band den Song auch ja als einen solchen angemeldet hat? Oder schickt sie zu jedem Tanztee eine Geistschutzstaffel, um zu sehen, ob die Herren und Damen die raffinierte Choreographie von Florian Silbereisen kopieren? Allein die Zeit, die sie für ihre „Erklärung“ und das Verfassen von dieser verwendet hat, wäre schon besser investiert, wenn sie mal überprüfen würde, mit welchem Recht sich eine Koch-Mehrin in Parlamenten herumtreibt – besser gesagt: nicht herumtreibt.

Im Urhebergesetz sagt der § 1: „Allgemeines: Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes.“ Das ist doch leicht. „Nein“, schreit man, „nein! Weil: Das Internet!“ So ein Quatsch. Das Internet ist künstlich, erfunden vom Menschen, und bestimmt nicht schuld an menschlichem Fehlverhalten. Bald ist vielleicht das Internet sogar Schuld daran, dass Brüderle nicht verständlich reden kann, der Nürnberger Hauptbahnhof Hirnfäulnis verursacht oder dass die FDP gewählt worden ist. Schuld ist, wenn überhaupt, der Mensch ganz allein, weil er sein Hirn dafür einsetzt, dass er die Nummer vom Pizzadienst abspeichert, statt sich eine anständige Fröhlichkeit gegenüber Mitmensch und Umwelt anzueignen.

YouTube und Konsorten könnten ihr Urheber-GEMA-Problem theoretisch leicht lösen, ohne dass man ständig von diesem roten Bimsstein mit Gesicht genervt wird. Die Videoplattformbetreiber sollten einfach jedes geschützte Video maximal eine Minute laufen lassen. Und wer dann noch Interesse an Lady Gaga oder Justin Bieber hat, der kann sich die CD kaufen. Sicher, die Überprüfung dieser Einschränkung ist aufwendig, aber man könnte dafür all die unterbeschäftigten Nerds, Verzeihung: Filesharer (seit wann ist das eine Beschäftigung, geschweige denn ein Titel?!) einstellen, die derzeit die Muse haben, um Namen von Künstlern, die für das Urheberrecht sind, und einen Sondermüll a lá „wir scheißen auf euer geistiges Eigentum“ zu veröffentlichen – oder die Koch-Mehrin.

Wie gesagt, ist dieser Hass unerträglich. Und er wird auf Dauer das zerstören, um was es geht: Geist, Kunst, die unbeschwerte Liebe zu beidem und das freie Denken. Allerdings geht es in dieser Urheberdebatte längst nur noch um Misstrauen und um Unanständigkeit statt um Kunst und Künstler oder Publikationen und Autoren. Und es geht um Geld. Um viel Geld.

Was sich indes keiner von all diesen Künstlern zu fragen scheint, ist: Wie lange noch? Wie lange können wir noch im großen Stil auftreten, wenn in zehn bis 15 Jahren das Öl verschwendet ist? Wo sollen wir spielen, wie sollen wir unsere Instrumente verstärken und unsere technischen Geräte laufen lassen, wenn der Strom abartig teuer geworden oder nur mehr eingeschränkt verfügbar ist? Und: Können wir gegen diese Bedrohung, die zugleich auch die Welt bedroht, nicht etwas unternehmen? Sollten wir unsere Stimme nicht lieber zum Schutz der Ressourcen erheben? – keine Angst, ich spreche nicht davon, dass die Künstler in Beatnik- und sozialkritischer Liedermachermanier anklagend durch die Lande ziehen sollen. Mann kann ohne Theater die Leute eh besser informieren. Denn deswegen haben bekannte Künstler ihre Stimme. Nicht nur um sie von der GEMA oder VGWort schützen zu lassen.

Am Ende des Kokosnussliedes kommt übrigens raus, dass das Affenbaby die Nuss hat. Wahrscheinlich wurde es vom Internet verdorben.

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Andrea Limmer

Freie Journalistin

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